Die Kolumne für November

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Peter G
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Die Kolumne für November

Beitrag von Peter G »

Pilze verzaubern
unseren Werkstoff Holz


Von Peter Gwiasda

In meiner vorletzten Monats-Kolumne dieses klimatologisch und politisch außergewöhnlichen Jahres 2020 befasse ich mich mit Pilzen. Das hat auf den ersten Blick nichts mit Drechseln und mit unserem Werkstoff Holz zu tun. Ich aber behaupte und beweise das Gegenteil. Ohne die Pilze gäbe es kein Holz. Ich wage mich noch weiter vor: Ohne die Pilze gäbe es auch nicht die uns vertraute Welt. Unser Planet wäre tot.

Das sind mutige Thesen eines Mannes, der keine Biologie und schon garnicht Mykologie studiert hat. Meine einzige Basis für diese Behauptungen sind meine sinnlichen Erfahrungen bei Exkursionen in Wäldern und auf Wiesen während des vergangenen halben Jahrhunderts. Und natürlich die Lektüre vieler Texte in naturwissenschaftlichen Büchern und Fachorganen.

Weshalb also sichern Pilze uns Drechslern so wundervolle Hölzer? Weil Pilze in der Unterwelt, also im Bereich der Wurzeln, mit fast allen Bäumen eine fantastische Partnerschaft schließen. Pilze verfügen nicht über Blattgrün (Chlorophyll), können folglich auch keine Fotosynthese leisten, um Zucker und Stärke für ihr Entwicklung zu produzieren. Das aber vermag jeder Baum, jeder Strauch und viele andere grüne Pflanzen. Der Baum versorgt über seine feinen Wurzeln tief in der Erde die Fäden der Pilze (Hyphen genannt) mit Zucker und Stärke. Wie überall im Leben ist nichts gratis. Die Pilze spenden den Feinwurzeln der Bäume mit ihren unendlich langen und dünnen Fäden Wasser und darin gelöste Mineralstoffe. Das nennt sich Symbiose und die Pilze, die dieses Geschäft auf Gegenseitigkeit betreiben, heißen Mykorrhizapilze. Die Vitalität der Bäume ist also abhängig von Pilzen.
Nicht alle Pilze betreiben diesen Handel mit den Grundstoffen allen Lebens. Solche Pilze ernähren sich von bereits totem organischem Material, sie „fressen“ also Laub und zerlegen umgestürzte Baumleichen in ihre Bestanteile. Diese Zersetzer oder Saprobionten genannten Pilze bescheren uns besonders reizvolle Hölzer für die Drechselbank. Dazu später mehr.
Einen schlechten Leumund haben die Pilze, die von der Natur die Rolle als Parasiten oder Schmarotzer zugewiesen bekommen haben. Ihr Pilzgeflecht attackiert noch lebende, oft geschwächte Organismen und bringt sie zum Absterben. Förster und Waldbesitzer hassen aus tiefster Seele beispielsweise die Hallimasch-Pilze. Diese (essbaren und massenhaft gedeihenden) Pilze dringen über kleinste Verletzungen der Wurzeln oder der Rinde in den Baum ein und bringen immer den Tod. Parasitische Pilze greifen nicht nur Pflanzen an, sondern auch Tiere, insbesondere Insekten und auch Menschen. Andererseits: Die Natur ist gnadenlos; wer sich nicht hinreichend schützt, wird bestraft. (Gilt aktuell auch für Viren).
Die Leistungen der Zersetzer und Schmarotzer sind unterm Strich segensreich für unseren Wald. Ohne sie würden die Wälder, Gärten und Parks an ihrer wachsenden Biomasse ersticken und am Ende mangels Humus verhungern.
Soweit also pure Biologie. Jetzt gehen wir an die Drechselbank und spannen ein Stück Rotbuche oder Bergahorn ein, vorzugsweise Hölzer, die ein oder zwei Jahre im Wald vergessen und von uns rechtszeitig entdeckt und geborgen wurden. Aus dem eigentlich langweiligen Buchenholz ist eine verwirrend spannende Mischung unterschiedlich fester und farbiger Holzpartien geworden. Sogenannte Weiß- und Braunfäulepilze haben sich des Stammes bemächtigt und nach einem göttlichen (unergründlichen) System wie Goldgräber ihre Claims abgesteckt. Die Braunfäulepilze bauen die helle Zellulose ab, das braune Lignin bleibt zurück, die Weißfäulepilze machen sich über das Lignin her, sodass nur die Zellulose übrigbleibt. Und zwischen diesen unterschiedlichen Zonen verlaufen schwarze und braune Linien. Sie ergeben manchmal ein Bild wie eine Landkarte aus der Zeit der deutschen Vielstaaterei. Lignin und Zellulose sind die wichtigsten Bestandteile unserer Hölzer.
Ich hoffe euch nicht gelangweilt zu haben. Die Welt der Pilze ist unendlich groß und nur in winzigen Teilen wirklich erforscht und verstanden. Die Mykologen streiten darüber, ob es eine halbe oder zwei Millionen Pilzarten auf der Welt gibt. In den vergangenen Jahren hat die Medizinforschung das Riesenreich der Pilze entdeckt, insbesondere die Abteilung der Pilze, die nur mit dem Mikroskop erkennbar sind. In dem Reich Fungi sammeln sich alle Stoffe und Stoffkombinationen unserer belebten und toten Welt. Wir Menschen können also hoffen, dass nach dem Antibiotika Penicillin bald noch viele weitere hochwirksame Arzneien entdeckt werden.
Ich gehe jetzt auch auf Entdeckung, und zwar in „meinen“ Taunuswald auf der Suche nach delikater Nahrung. Und oft finde ich außer tollen Speisepilzen auch verheißungsvolle Stämme oder Holzreste mit Wucherungen, in denen von Pilzen gezauberte Überaschungen stecken.

Holz und Pilze oder Pilze und Holz bedingen einander.
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Erick
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Re: Die Kolumne für November

Beitrag von Erick »

Lieber Peter
Vielen Dank für diesen fundierten Beitrag ! Ich erlaube mir dieses Foto von einer kleine verpilzten Schale aus Buche dazu einzustellen.
Es grüßt Erick
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Wedlia
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Re: Die Kolumne für November

Beitrag von Wedlia »

Danke Peter für deine lehrreichen Beitrag.
Da hänge ich auch gerne vom Pilz verschönerte
Ahornschale ran.
image.jpg
Durchmesser 44 cm
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Liebe Grüße Horst

Nicht jeder ist aus dem gleichen Holz geschnitzt
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Re: Die Kolumne für November

Beitrag von Josch »

:danke: Peter für die fundierte oder fungierte? Kolumne. Eines meiner liebsten Hölzer zum Drechseln ist verpilzte Buche. Und ich studiere immer noch, an welchen Merkmalen festzumachen ist, wann das Holz eingeschnitten werden muss, damit es wohl mamoriert, aber nicht zu weich wird. Wie schön, dass es im Boden so viel unsichtbare Harmonie gibt.
Grüße vom Feierabenddrechsler Joachim
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Re: Die Kolumne für November

Beitrag von kerouer »

Hallo zusammen,

Lebendig.....
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Grüße

Pascal
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Johann
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Re: Die Kolumne für November

Beitrag von Johann »

Hallo Peter


Ich bin ja ein großer Bewunderer deiner feinen Schreibweise.

Dein Fachwissen ist beeindruckend.


Auch ohne fachliches Pilzwissen habe ich sofort erkannt was da am Werke war.
Ich nenne es Glück.


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Mögen die Pilze ihre Arbeit doch immer so gut verrichten.


Gruß


Hans
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Peter G
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Re: Die Kolumne für November

Beitrag von Peter G »

Hallo Pascal,

die wilde Farbenpracht deines verpilzten Zwiesels ist überwältigend, jeder Kasten mit Pastellfarben dürfte vor Neid erblassen. Weil du die ursprüngliche rauhe Außenseite des Stammes unbearbeitet gelassen hast, gewinnt dein Objekt durch den Gegensatz von natürlich und artifiziell. Dein Holzobjekt mit drei Schalen in einem Stammstück zählt zu den schönsten, die ich je gesehen habe.

Grüße von Peter Gwiasda
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