Adventskalender Türchen 3

[Joaquim]

Zum Advent, der Zeit zur Einkehr und Ruhe

Seit über einem Jahrzehnt war ich zur Adventszeit nicht mehr in Deutschland. Damals war es für mich immer eine sehr arbeitsreiche und stressige Zeit, die erst am Heiligabend zum späten Nachmittag oder erst abends endete. Dann noch schnell einen Weihnachtsbaum schlagen, platzieren und schmücken mit 12 Kerzen, Strohsternen und ein paar Kugeln und dann Ruhe einkehren lassen.

Nun, „leider“ bin ich in Portugal und da ich nichts weihnachtlich gedrechseltes vorzuweisen habe, berichte ich aus meiner rein subjektiven Sicht ein wenig von hier und der Adventszeit im Alentejo, so wie wir sie ganz individuell erleben. - und zwar vom Landleben. Wie es die Menschen in den Städten erleben, weiß ich nicht so recht, da fehlt mir die Erfahrung.

Vielleicht zur Einstimmung ein paar langweilige statistische Daten zum Land und der Region: Portugal ist christlich-katholisch geprägt. Menschen in Portugal, die nicht einer christlichen Religion angehören, also Muslime, Hindus, Juden, Buddhisten, usw. machen in ihrer Summe nicht einmal 1 % der Gesamtbevölkerung aus. Man sollte also annehmen, dass das religiöse christliche Leben deutlich sichtbar ist.
Ist es auch, in Tradition und Bräuchen. Dabei vermischt sich Glauben und Folklore. Hier im sozialistsich/kommunistisch geprägtem Alentejo liegt der Schwerpunkt nach meiner Beobachtung eher auf letzterem.

Feiertage, egal ob staatliche oder kirchliche werden hier nicht so ernst genommen. Da darf gearbeitet werden, oder man hat endlich Zeit, sich um den (Selbstversorger)-Garten zu kümmern. Also wird die Motorsäge für den nötigen Baumschnitt angeschmissen oder der Stihl-Freischneider zu Ostern über das Gelände geführt und Aufwuchs entfernt, damit sich im Sommer nichts entzünden kann.. Das grüne Schnittgut wird dann gleich mit entspr. viel Qualm an Ort und Stelle verbrannt, auch wenn die Nachbarn oder deren Wäsche dabei eingenebelt werden. Da das alle so machen können, stört es auch niemanden.

Die Bevölkerung ist tolerant. Katholische Vorschriften werden auch gerne mißachtet wenn sie der Lebensfreude oder Notwendigkeiten widersprechen. Kleine und große Lebens-Sünden kann man mit ein wenig Reue bei der Beichte oder einem Trip nach Fatima egalisieren.

Da paßt es ins Bild, daß über die Hälfte aller Neugeborenen außerehelich geboren werden, und das obwohl Familie hier einen sehr, sehr hohen Stellenwert hat, aber auch wo Opa und Oma gelegentlich von den Enkeln in der 3. Person angesprochen werden wollen, als Zeichen des Respekts vor der Lebenserfahrung des Alters. Die „Groß“familie ist praktisch jedes Wochenende zusammen, dafür bedarf es keiner Festtage.

Nach diesem subjektiven kurzen ländlichen Gesellschaftgemälde komme ich zurück zum eigentlichen Thema, der Adventszeit.

Wie Ihr erahnen könnt, ist der Advent hier ein Non-Event. Weihnachten ist nicht so wichtig wie Ostern oder Karneval, die Weihnachtszeit wird aber zunehmend vom Kommerz entdeckt.

Seit ein paar Jahren sieht man schlechte Kopien eines dt. Weihnachtsmarktes in den Städten. Auffälliger ist da schon die sehr bunte pompöse Festbeleuchtung an den Hauptstraßen ab dem 1. Advent. Besonders ausgeprägt in den Großstädten und durchaus auch als touristische Attraktion zu bewundern. Energiekosten bzw. dessen „Verschwendung“ spielen überhaupt keine Rolle.
Schließlich ist die Anzahl der Co2-Gläubigen noch gering und hat andere Glaubensrichtungen noch nicht verdrängt, obwohl Presse und Politik stark daran arbeiten.

In manchen Orten sieht man auch an prominenter Stelle eine große Krippe mit vielen Figuren aufgebaut, das aber eher im Norden Portugals, wo die kath. Seele höher schlägt. - -aber nach meinem Empfinden, viel Folklore, auch wenn der eine oder andere mal einen Fußmarsch nach Fatima vornimmt, vermutlich als Gegenmaßnahme zum feucht-fröhlichem Leben in Kombination mit dem einen oder anderen Ausrutscher. Schließlich sind die Portugiesen Weltmeister des pro-Kopf-Verbrauchs beim Weinkonsum und auch in sex. Dingen recht tolerant.

Die Adventszeit soll friedlich stimmen, eine Vorbereitungszeit. Vielleicht ist das in Deutschland wichtiger als hier auf dem Land. Nach dem „Global Peace Index“ zählt Portugal zu den friedlichsten Ländern weltweit mit einem Ranking an 7. Stelle, obwohl hier jeder ein scharfes Messer in der Tasche hat, und oft mehrere Schußwaffen im Schrank oder Auto. Die BRD liegt im Index zwar auch nicht so schlecht, aber an 15. Stelle doch weit abgeschlagen.

Was soll ich sagen: Es ist hier auf dem Land ruhig, relaxed, friedlich. Man geht geruhsam seiner Arbeit nach, auch in aller Regel 6 Tage pro Woche. Da muß man nicht zusätzlich Besinnungsstunden fordern. Die sind vom Naturell aus vorhanden.

Als Ostwestfale verbinde ich natürlich die Advents- und Weihnachtszeit mit miesem Herbstwetter, Frosteinbrüchen, Dauerregen und mit Weihnachten dann die „Erlösung“ zur Wintersonnenwende. All das entfällt hier.

Inzwischen blühen die ersten Felder in leuchtendem Gelb. Wir haben Herbst, der aus ostwestfälisch gewohnter Betrachtung übergangslos ins Frühjahr übergeht. Die Portugiesen sehen das natürlich anders. Für die gibt es Winter, sie haben schließlich auch ein Wort dafür: inverno, was sich fast wie Inferno anhört.
Aber für mich: Die Zitronen fangen an zu blühen. Mit dem Herbstregen sind die Wiesen sattgrün mit den ersten Frühlingsblühern, halt ab Mitte Nov. Die Blütenknospen der Akazien sind dick angeschwollen, der Stechginster schafft gelbes Unterholz in den Wäldern, neben der Baumheide und Erdbeersträuchern. Andere Heidearten sind derzeit längst am blühen so wie der überall wuchernde Rosmarin. Die Mandarinen- und Orangenbäume hängen voller gelb-orangener Bälle. Die Bienen sind fleißig am sammeln. Und bei manchen Tagen liege ich lieber im Halbschatten als in der Sonne.

Was soll ich sagen: Eigentlich ist Advent und Weihnachten hier kein Ereignis. Bis auf die Auslagen der Schaufenster in den Geschäften der größeren Städte. Wäre da nicht das ständig präsente Fernsehen in Cafes und Restaurants, würde ich hier gar nicht mitbekommen, das Adventszeit ist mit all seinen Werbebotschaften.

Auf den Dörfern ist noch der alte sozialistische „Flair“ vorhanden. Es ist alles vorhanden, aber Firmenschilder, Werbung oder gar Leuchtreklame oder Schaufenster sucht man vergebens. Fremde müssen die Einheimischen schon fragen, wo sie etwas finden können, egal ob Einzelhandel oder Werkstätten. Nur die Cafes sind gut sichtbar, wenn ein paar einfache Stühle und Tische an der Straße stehen. Hier wird nichts angepriesen, nicht zum Konsum überredet, wäre da nicht das Fernsehen, das ab Dezember vermehrt Waren und Geschenkideen anpreist. Nach meinem Eindruck leider mit einer Tendenz zu kommerziellen amerikanischen Vorbildern.

Man kann das hier mögen oder auch nicht. Es ist jedenfalls kein Vergleich zu den Gegebenheiten, wie ich es aus Ostwestfalen gewohnt bin.

Eine kleine Einstimmung habe ich dann aber doch noch: Die prächtigen Kiefernzapfen, garniert mit ein paar Erdnüssen. Letztere essen wir, erstere nehmen wir als Anzünder für Grill und Kamin.

Zapfen.jpg

Ich wünsche Euch zum 1. Advent ruhige besinnliche Weihnachten im Kreis der Familie mit Frieden im Herzen.

Gruß Dieter

mit einem Weihnachts- Fado zum Ausklang des Beitrags:

[Burgberger]

Griaß di Namensvetter,
wenn ich das von dir lese, freue ich mich ja schon auf das nächste Schneeräumrn und den nächsten Weihnachtsmarkt. Dein Leben in Portugal gefällt dir hoffentlich gut - für mich wärs nix.
Vielen Dank für dein Türchen, das regt zum Nachdenken an. Freche Frage zum Schluss: gehen die Uhren in P. anders? Oder bist du erst beim Rasenmähen gewesen, weil das Türchen doch recht spät eingestellt war
Grüße Dieter

[Joaquim]

Freche Frage zum Schluss: gehen die Uhren in P. anders? Oder bist du erst beim Rasenmähen gewesen, weil das Türchen doch recht spät eingestellt war

Also wir haben eine Std. Zeitverschiebung. Aber: Ich habe mein Leben immer so eingerichtet, daß ich nie vor 10 Uhr morgens präsent sein mußte. - und so werde ich das auch weiterhin halten. Dafür bin ich bis tief in die Nacht leistungsbereit.

Gruß Dieter

[Derfla]

Guten Morgen, Dieter,
und dir (nebst Anhang?) trotzdem einen schönen ersten Adventssonntag. Und der andere Dieter möge berücksichtigen, dass es schon viel viel Zeit braucht, einen so ausführlichen und inhaltsstarken Text in perfekter sprachlicher Gestaltung zu verfassen. Danke dafür nach Portugal.
Die Region, das Alentejo, in der du lebst , haben wir vor nun ziemlich genau 40 Jahren im Rahmen einer mehrwöchigen Reise durch das gesamte Portugal kennen gelernt. Ich hatte damals einen VW Bus T2 selbst ausgebaut und wir waren jung genug uns auf diese große Reise leichten Herzens einzulassen. Alles ist gut gegangen und wir zehren eigentlich auch heute noch von den Erfahrungen und Eindrücken die das wunderschöne Land und die freundlichen Menschen in uns hinterlassen haben. Dieter wir haben deinen Text genossen und wünschen dir ein zufriedenes Leben dort in einem schon anderen, aber für manch einen sicherlich auch erstrebenswerten Teil dieser Welt.
Herzliche Grüße
Alfred

[maserknollen]

Hallo Dieter
Danke für dieses " mal etwas andere Türchen"
Der ganze Kommerz in der Zeit um Weihnachten herum stimmt auch mich sehr nachdenklich in unserer Buisenessworld.
Die Medien müllen einen so zu und unterbinden dabei ganz bewusst, dem gemeinen Volk den eigentlichen Sinn von Advents- und Weihnachtszeit im Hinterkopf zu behalten.
In Portugal scheint die Welt dahingehend ja doch um Einiges relaxter zu sein.
Genieße es, solange ,wie es nicht doch auf einmal noch ungeahnte Formen annimmt.
Eine besinnliche Zeit wünsche ich dir und deinen Lieben - Meine Lieben und ich werden das alles auch nicht an uns ranlassen.
für das kurze MAL DRÜBER NACHDENKEN

[c.w.]

Hallo Dieter
Danke für dein Türchen.
Ich finde es immer sehr interessant wie in anderen Ländern
Das Leben lebt.

[Erick]

Hallo Dieter
Danke für Deinen Bericht über den ich mich sehr freue ! Dir und Deiner Frau wünsche ich eine gute Zeit,
Ich habe noch mal eine Frage, die wie kann es anders sein, mit Holz zusammen hängt. In Deinem Text erwähnst Du Baumheide, Baumheide bildet Wurzelknollen, diese werden unter Mühen ,,geerntet,, in Stücke geschnitten einer speziellen Behandlung unterzogen und kommen dann unter dem Namen Brujerre in den Handel, Pfeifenbauer stellen dann daraus schöne Tabakpfeifen her. Hast Du schon mal diese Knollen gesehen, gefunden ? Natürlich ist das auch für Drechsler ein interessantes Material.
Seid nun herzlich gegrüßt. Erik

[Joaquim]

Hallo Erick,
Die Baumheide liebt feuchtere Standorte. Hier bei uns kommt sie zwar sehr oft vor (da es genug Bäche und feuchte Wiesen/Flächen gibt), ist dann aber relativ schlecht dranzukommen, weil man sich meist nasse Füße holt, zumindest in der nicht so heißen Zeit.

Nach meiner Beobachtung ist das ganz anders an der südfranz. Atlantikküste, also zwischen Bordeaux und Baskenland. Dort ist der Oberboden bei den sauren und sandigen Böden zwar trocken, aber der Grundwasserspiegel extrem hoch, sodaß die Baumheide genug bekommt. Dort wuchert sie noch mehr als hier im Alentejo, bzw. ganz Portugal. Vermutlich werden auch dort die Wurzelknollen "geerntet", weil es dort einfach ist.

Sollte ich mal etwas brauchbares hier rausreißen können, gebe ich das gerne an Dich weiter.

Gruß Dieter

[GärtnermeisterD]

Hallo Dieter, guten Abend!
Vielen Dank für deinen sehr interessanten Bericht über die Adventszeit in Portugal. Das dort die Zeit bis Weihnachten anders gelebt wird, hätte ich nicht unbedingt erwartet.
Ich finde solche Berichte sehr gut, da bekommt man Einblick in (für uns) neue Welten... Auch das Musikstück am Ende deines Beitrages ist toll...
Das Leben dort folgt halt gefühlt einem anderen Rhythmus. Unsere türkischen Nachbarn mähen auch schonmal samstags um 18 Uhr Rasen, z. B.
Ich wünsche dir und deiner Familie eine ruhige Weihnachtszeit.
Liebe Grüße aus dem kalten Deutschland,
Daniel Thumann

[Mali]

Hallo Dieter,
vielen Dank für den Einblick wie bei Euch in Portugal die Adventzeit und das Weihnachtsfest
begangen wird
Eigentlich hätte man anderes bei dem christlichen Hintergrund der Bevölkerung vermutet.
Das Osterfest, ist sicher, wie Du bereits angedeutet hast, das größere kirchliche Ereignis.
Danke nochmals und Euch eine schöne Zeit im "fernen" Portugal.
Lg
Barbara

[drexler116]

Hallo Dieter,
es ist immer wieder ein Genuss deine Berichte hier im Forum zu lesen.

Danke für's dritte Türchen.

Wünsche dir (euch) noch eine entspannte Zeit im lebenswerten Portugal.

[Helmut-P]

Hallo Dieter,

danke für das interessante Türchen über das Leben in Portugal auf dem Land.

Herzliche Grüße aus dem verschneiten Untertaunus
Helmut

[Faulenzer]

Dieter für deine Eindrücke

Um die Wintertemperaturen beneide ich dich, die Sommertemperaturen finde ich dann in der Bretagne besser.

[Josch]

Dieter für dein umfangreiches Türchen. Es ist schön über den Tellerrand zu sehen, dennoch bin ich gerne hier, wo ich bin und genieße alle Jahreszeiten, um die uns viele Menschen beneiden.

[Ritschi]

Hallo Dieter,
schöne Einblicke in dein portugiesisches Leben und deine musikalische Einlage nach deiner Erzählung.

Danke dafür und eine schöne Adventszeit!

[Joaquim]

die Sommertemperaturen finde ich dann in der Bretagne besser.

bezügl. des Sommers muß ich Dir unbedingt Recht geben.
Wir könnten zwar im Sommer an den Atlantik, dort ist es dann meist 10 Grad kühler als hier, aber noch lieber leben wir über die Sommermonate in Bad Lippspringe, zumal dort natürlich auch Arbeit auf uns wartet.

Gruß Dieter

[Rustikus]

Hallo Dieter,

für deine unterhaltsamen portugiesischen Lebens- und Mentalitätsbeschreibungen. Ich bin verwandtschaftlicher Bindungen wegen öfters in Katalonien, und auch wenn alle Pauschalisierungen Haschen nach Wind sind, so kommt es mir doch vor, als gäbe es da viele Ähnlichkeiten. Wobei die Portugiesen wohl noch einen Zacken entspannter sind.

Freundl. Grüße,
Bernhard

[Maggus]

Herzlichen Dank für diesen Blick über den Adventstellerrand.
Ich finde diese Blicke sehr spannend und sollten uns zum Nachdenken anregen. Und sei es nur, wenn am Ende "ich bin's zufrieden mit mir und meinem Sein" herauskommt.
Dafür ist der Advent doch da.

Noch schneebedeckte Grüße,
Markus